High Noon in Augsburg – Caissas glorreiche Halunken reiten in die Kreisliga 1

Liebe Caissanerinnen und Caissaner,

die Spannung in der Kreisliga 2 hatte sich am Samstag zum absoluten Höhepunkt hochgekocht, da die SGA 2, Gersthofen 1, Göggingen 2 und wir – damit vier der insgesamt nur sieben Mannschaften in der Liga – rechnerisch auf den beiden oberen Plätzen abschneiden konnten, um in den Olymp des Amateurschachs in die Kreisliga 1 aufzusteigen. Für uns war klar, dass wir im großen Saisonfinale bei der SGA ganze 5 Brettpunkte erringen mussten, um an den Gastgebern vorbeizuziehen. Für den Meistertitel mussten wir auf die Schützenhilfe aus Göggingen 2 hoffen, die Gersthofen 1 empfingen. Es war fast schon poetisch, dass ausgerechnet am letzten Spieltag die vier Anwärter im direkten Duell aufeinandertrafen – der Wind wehte ein Grasbüschel über die bajuwarische Prärie und vier gezückte Revolver blitzten in der Frühlingssonne: High-Noon in Augsburg.

Wir hatten noch gar nicht genug Zeit für Nervenflattern, da an Brett 3 die wandelnde Schachlegende Oda Lorenz wohl eine Figur gegen unseren Pistolero Harry einstellte, der eiskalt zum frühen Brettpunkt für uns vollstreckte.

El Bandido Mattis hatte bisher alle Brettpunkte für uns geraubt und kämpfte heute an Brett 5 auch um die ligaweite Erstplatzierung, nachdem er mich nochmals eifrig daran erinnerte, dass ich ihm hierfür auch einen Kasten Bier ausgelobt hatte. Nach einer angriffslustigen langen Rochade sicherte er sich am Königsflügel und im Zentrum deutlichen Raumvorteil und verlagerte seine Angriffsbemühungen just auf den Damenflügel, an dem der SGAler versuchte Unruhe zu stiften. Der Schuss sollte für den Gastgeber allerdings nach hinten losgehen, da sein König noch in der Mitte thronte und dadurch allerlei taktisches Spiel für unseren jungen Rechenmeister bot. Der letzte Sargnagel zum zweiten Brettpunkt war eine malerische Läuferinterferenz, die unausweichlich eine Folgetaktik für dessen weißfeldrigen Kollegen ermöglichte: den Damengewinn mittels Fesselung an den zentralen König. Mit einer würdigen Krönung seiner Saisonleistung sicherte sich Mattis unseren zweiten Brettpunkt. Als Sheriff hatte ich an Brett 6 für Ordnung zu sorgen und musste ausgerechnet gegen den SGAler ran, der wie unser Mattis in dieser Saison vor dem Spieltag schon ganze 5 Brettpunkte eingesackt hatte – ich kämpfte also innerlich auch für unseren Ligaprimus, hatte aber einen sehr gesunden Respekt vor dem formstarken Kontrahenten. Mit merklicher Zuversicht blitzte mein Gegner ein London-System mit etwas ungewöhnlicher Zugreihenfolge aufs Brett und lief in den ersten zehn Zügen in ein typisches London-Motiv: der böse schwarze E-Bauer befragte den schwarzfeldrigen weißen Läufer auf f4, ob er nicht zur Seite treten möge, damit er die Leichtfiguren auf d3 und f3 gabeln könnte. Mit Minusfigur für meinen Schlawiner auf der E-Linie versuchte der SGAler wirklich lehrbuchhaft Gegenspiel zu erzwingen und holte gleich eine ganze Kabeltrommel an Stolperdraht mit dem er mir einige Fallen zu stellen versuchte. Doch nach weiteren knapp 30 Zügen waren die Komplikationen entschärft, das Material vom Brett und der dritte Punkt bei den Gästen aus der Kresslesmühle – noch nie habe ich so gerne einen Kasten allerfeinsten Hopfensafts verloren. Nur noch zwei Brettpunkte fehlten, auf geht’s Caissa! Doch unsere Ambitionen wurden kurz darauf von zwei schmerzhaften Nackenschlägen deutlich gedämpft. Eddy litt an Brett 8 bereits seit geraumer Zeit in einer schlechteren Stellung, aus der er sich nicht mehr herauswinden konnte. Auch der Gegner von Stefan fand an Brett 2 präzise Züge und zerlegte mit der konzentrierten Feuerkraft auf den g7 Bauern durch zwei Türme auf der 7. Reihe und einen konkurrenzlosen schwarzen Läufer alle aussichtsreichen Verteidigungsmöglichkeiten. Die Gastgeber kamen uns mit 3 zu 2 nochmals gefährlich nahe.

Auch Dietmar war an Brett 7 unter arger Bedrängnis. Sein Gegner hatte die Partie komplett heruntergeblitzt und hatte zeitweise durch das Inkrement mehr auf der Uhr, als vor der Partie. Dietmar hatte andererseits seine Zeit bereits bis auf wenige verbleibende Minuten investiert und dafür noch nicht allzu viel vorzuweisen, war er doch mit Raumnachteil in die Defensive gezwungen. Vielleicht in Anbetracht des bisherigen Erfolgs oder aber der kumulierenden Zeitnot von Dietmar blitzte sein Gegner weiter und wurde dabei etwas leichtsinnig. Schließlich konnte Dietmar das Ruder herumreißen und die gegnerischen Linien mit einem Freibauer durchbrechen. Mit überwältigendem Mehrmaterial behielt Dietmar kühlen Kopf und zerlegte zusehends das gegnerische Spielmaterial zum 4 zu 2 für Caissa. Überschwänglich kassierte er von mir zum Dank einen fetten Schmatzer auf den eiskalten Rechenschädel, war es doch offensichtlich, dass dieser Brettpunkt den Lauf der Gastgeber gebrochen und uns wieder neue Lebensgeister eingehaucht hatte. Bei Markus an Brett 1 witterte ich schon länger Zählbares, da sich dieser einen Freibauern erspielt hatte, der bereits auf die siebte Reihe vorgerückt war. Ab und zu schaute ich am Brett vorbei und versuchte in der optisch schönen Stellung als Zuschauer ein bisschen mitzurechnen, konnte aber nie einfache Züge finden, die die Partie zu einem schnellen Ende hätten führen können. Ich rechnete aber mindestens mit einem Remis und hatte vollstes Vertrauen, dass Jan an Brett 4 auch nichts anbrennen lassen würde. Schließlich kam Markus zu mir mit einer schockierenden Hiobsbotschaft – er stand plötzlich auf Verlust! So schnell ging mir – man verzeihe – der Arsch selten auf Grundeis. Wenige Züge später stand es dann tatsächlich auch 4 zu 3.

Damit war klar, dass sich alles – aber auch wirklich alles – an Brett 4 entscheiden sollte, wo sich Jan und Ursula Münch schon seit geraumer Zeit in einem epischen Duell unter wachsender Zahl der erschienen caissanischen Zuschauer bekämpften. Dass die Partie überhaupt noch lief grenzte schon an ein kleines Wunder, da Jan, als es noch an unserem ersten Brett gut aussah, bereits ein Remisangebot unterbreitet hatte, dass von der gegnerischen Mannschaftsführerin mit Blick auf die übrigen Bretter glücklicherweise ausgeschlagen worden war. Nun konnte Jan seinerseits ein zwischenzeitliches Gegenangebot dank des unsäglichen Tabellenstandes nicht annehmen – die beiden waren auf Teufel komm raus bis zum nackten König in einer reinen Nervenschlacht zum Spielen verdammt.

Meine Schlacht mit den eigenen Nerven hatte ich zu dem Zeitpunkt bereits längst verloren – ich starrte mit leerem Blick auf die Stellung und konnte die harte Realität kaum erfassen, dass sich an einem verdammten, mickrigen halben Brettpunkt unser Schicksal für die nächste Spielzeit ermessen würde. Wie im Zeitraffer zogen die letzten Monate an meinem geistigen Auge vorbei: der miserable Saisonstart mit denkwürdiger Niederlage bei der Gersthofener Weihnachtsparty, zahlreiche Partien die eng gegen uns liefen, jede verpasste Gewinnchance, an die ich mich erinnern konnte schmerzte wie ein glühender Nadelstich. Ich suchte gedanklich verzweifelt nach dem halben Brettpunkt in unserer Ligahistorie, der für uns hier die Welt bedeutet hätte. Ich dachte auch an die monumentalen Leistungen unserer tapferen Spielerinnen und Spieler in den letzten Mannschaftskämpfen, in denen wir uns mit zahlreichen Partiesiegen diese Chance überhaupt erst wieder gemeinsam erarbeitet hatten – sollte das alles umsonst gewesen sein? Mit dem Kopf in den Händen gebettet schweifte ich über die Felder und musste mir eingestehen, dass ich den entscheidenden ganzen Brettpunkt im Hier und Jetzt auch nicht finden konnte, denn die erfahrene SGAlerin hatte sich nicht nur eine erdrückende Stellung, sondern auch einen ansehnlichen Zeitpuffer von gut 20 Minuten erspielt. Ihr verbliebener Turm stand maximal aktiv und beäugte zwei schwache Isolanis, die Jan mit Müh und Not mit seinem Turm, König und Springer beisammenhalten konnte. Ihr weißfeldriger Läufer hatte gefühlte Narrenfreiheit in Jans Stellung hinein zu sticheln und die kleinste sich ergebende Schwäche abzustrafen, kurzum: Jan schien eher um das Remis kämpfen zu müssen und an einen Sieg war kaum zu denken. Mit äußerster Vorsicht gruppierte Jan unter wachsendem Zeitdruck seine Verteidiger um und versuchte sich so seinen Springer freizuschaufeln, mit dem er gezwungen war, irgendein Gegenspiel zu finden und dabei nicht direkt Haus und Hof zu verlieren. Münch versuchte umgekehrt ihr Bestes um den Springer mit ihrem Läufer im Zaum zu halten und die Kontrolle über die Stellung nicht zu verlieren - das Spiel entlud sich also an diesem Ungewicht der Leichtfiguren, an dem auch unsere letzten, blassen Hoffnungen hingen. Doch nach dem Abtausch der Türme entfesselte Jan zusehends seinen inneren Pferdeflüsterer, indem er es unter gutem Zureden fertigbrachte seinem scheuen Springer den Mut eines Vollbluthengstes einzuimpfen, aufzusatteln und zum Befreiungsschlag in die Offensive zu galoppieren. Das gab auch zusehends Münch zu denken, denn beide waren mittlerweile in den Bereich von 5 Minuten Restzeit gefallen und zehrten vornehmlich vom Inkrement von 30 Sekunden pro Zug. Doch Jan schien wie beseelt von den neuen Angriffsmöglichkeiten nach der langwierigen Defensivschlacht, rechnete sich mit wiederkehrender Energie durch den zermürbenden Stellungskrieg und hämmerte immer kraftvoller seinen prächtigen Vierbeiner von Feld zu Feld, dass das Brett nur so bebte. Immer mehr offenbarten sich jetzt die Schwächen des gegnerischen Läufers, da sich Jan auf den dunklen Feldern verbarrikadierte und diesem keine Ziele mehr bot. In einem Manöver, bei dem mir der Atem stockte, gab er seinen Springer einem Bauern en pris, der aber ob einem entstehenden Duo zweier mächtiger Freibauern nicht genommen werden durfte, und mähte zur Vorentscheidung einen generischen Bauern nieder. Das Malheur für die Gastgeber wurde immer deutlicher und mit jedem Zug fielen nach und nach ganze Wackersteine von den caissanischen Herzen. Der entstandene Freibauern erwies sich auch dank des weit abgeschlagenen weißen Königs schließlich als unhaltbar. Unser Cowboy hatte es doch tatsächlich geschafft und ritt auf dem Rücken seines güldenen Springers zum Happy-End triumphal in den blutroten Sonnenuntergang. Der Abspann läuft mit 5 zu 3 für die glorreichen Halunken vom Perlachturm, die damit nächste Saison die Kreisliga 1 unsicher machen dürfen!

Trotz unseres eifrigen Daumendrückens für Göggingen 2, die nicht nur uns den Meistertitel, sondern den Gastgebern auch noch den Aufstieg hätten ermöglich können, setzte sich Gersthofen 1 mit 5 ½ zu 2 ½ durch und schließt damit vor uns auf dem ersten Tabellenplatz ab. Der kleine Wehmutstropfen dürfte für uns allerdings kaum spürbar sein, denn zum Schluss möchte ich in aller Kürze noch auf die unfassbare Saison zurückblicken: Unser Saisonziel war der Aufstieg in die Kreisliga 1, den wir in einem nervenaufreibenden Herzschlagfinale auch denkbar knapp geschafft haben. Danach sah es lange Zeit wirklich überhaupt nicht aus, weil wir nach dem dritten Spieltag noch mit unserem nackigen Hosenboden auf dem allerletzten Tabellenplatz saßen und am letzten Spieltag einige Zitterpartien durchleben mussten. Doch die Hoffnung haben die insgesamt 15 verschiedenen Spielerinnen und Spieler, die für uns immer ihr Bestes gegeben haben, nie ganz verloren. Ich möchte jeder und jedem Einzelnen von Euch für Euren Einsatz, Euren Kampfesmut und Eure Zuverlässigkeit von Herzen danken. Dass wir uns so aus dem Sumpf gezogen haben, war ein absoluter Kraftakt und eine unglaubliche Mannschaftsleistung, für die sich alle ganz kräftig auf die Schulter klopfen dürfen. Unser Dank gilt auch den Gästen, die uns bei den Spieltagen verfolgt haben, insbesondere weil es zwischenzeitlich echt nicht allzu gut um uns stand. Umso wichtiger ist der beneidenswerte Zusammenhalt in unserem kleinen aber feinen Verein, den wir weiterhin hochhalten dürfen. Mit Euch habe ich gar keine Bedenken, dass wir auch in der nächsten Saison unsere Klasse zeigen, die Klasse halten und die Kreisliga 1 bereichern werden. Bis dahin wünsche ich Euch eine angenehme Sommerpause und hoffe, dass ich viele beim Vereinsabend – jeden Donnerstag ab 20:00 Uhr – wiedersehen darf.

Herzliche Grüße Euer Simon

High Noon in Augsburg – Caissas glorreiche Halunken reiten in die Kreisliga 1
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